Montag, 21. Februar 2011

Makkas Jungfernfahrt

Goldene Geländer, Liegestühle auf dem Oberdeck, Captain’s Dinner: Die „Majesty Of The Seas“ bietet Kreuzfahrten an, wie wir sie vom „Traumschiff“ kennen. Doch jetzt stieß sie mit einer besonderen Fracht in See: Drei Bühnen, 42 Heavy Metal-Bands und mehr als 2000 Fans heftiger Musik.

Der fast 270 Meter lange Luxusliner wurde zwischen Miami und Mexiko zum Austragungsort von „70.000 Tons of Metal“, dem größten freischwimmenden Metal-Festival der Welt. Die auftretenden Gruppen heißen Blind Guardian, Amon Amarth, Saxon und Finntroll, sie spielen sämtliche Spielarten der harten Gitarrenmusik von klassischem Hard Rock über Thrash und finnischem Folk-Metal bis Death Metal.

Mit an Bord: Markus “Makka” Freiwald, der euch allen als ehemaliger Jo Hartmann-Trommler sicher noch in guter Erinnerung ist. Makka bedient seit Dezember letzten Jahres das Schlagzeug bei Sodom, der bekannten Trash-Metal-Band aus der verbotenen Stadt.

Makka

Wacken, Sonne und Swimming-Pool

Die Besucher sind gerne (wenngleich nicht immer) langhaarig, manchmal tätowiert, meist schwarz gekleidet – und doch, wie sich herausstellen sollte, ganz umgängliche Mitfahrer. Zugegeben: Wie sie so über die Teppichböden flanieren, in den verglasten Aufzügen stehen oder in den gediegenen Bars sitzen, wirken sie fehl am Platz. Zunächst.

Denn genau hier liegt der Reiz dieser Veranstaltung: Eine Heavy Metal-Sause in einem schwimmenden Luxushotel, eine Mischung aus Wacken und Urlaub in der Sonne. Von Florida bis zur Insel Cozumel und zurück geht die Reise, vier Tage durch den Golf von Mexiko Richtung Karibik, zwischen Nachmittagsbier am Pool, Headbangen auf Ledersesseln und Metallica-Shirts beim Abendessen.

Am Angebot auf dem Schiff, am Service wurde dafür nicht viel verändert, nach wie vor bringen Scharen von Bediensteten Drinks an den Platz, selbst wenn dieser sich fünf Meter vor der Bühne befindet, auf der die Gelsenkirchener Band Sodom gerade „Bombenhagel“ singt.

Das Fitnesscenter bleibt geöffnet

Das Fitnesscenter bleibt genauso geöffnet wie die Duty-Free-Shops, das Casino und das A-la-carte-Restaurant. Nur einer der Pools unter freiem Himmel wurde abgedeckt, hier steht jetzt eine Freiluftbühne.

Das bordeigene Theater „A Chorus Line“ mit Sitzreihen, Galerie und eigener Bar dient als weiterer Auftrittsort, ebenso die „Spectrum“-Lounge, wo sonst Tanzmusiker mit Fliege gediegenen Walzer darbieten. Jede der Bands spielt auf der Reise zweimal, die Besucher können sich also theoretisch jede Gruppe ansehen.

Nicht nur hier liegt ein Unterschied zu ähnlichen Veranstaltungen, denn die erste Unternehmung dieser Art ist „70.000 Tons of Metal“ nicht – wohl aber die größte. So verkehrt die eintägige „Sweden Rock Cruise“ zwischen Stockholm und Turku, bietet aber nur eine Bühne und vermutlich genauso wenig Karibik-Feeling wie deutsche Metal-Bootsfahrten auf dem Rhein, die eher in die Kategorie „Ausflugsdampfer“ fallen.

Gäste sind keine betuchten Älteren

Die 2038 Gäste auf der „Majesty of the Seas“ sind alle Fans (oder zumindest Sympathisanten) der Musik. Sie stammen aus 48 Nationen, die Faröer Inseln, Australien und China eingeschlossen. Ein Drittel der Kreuzfahrer besitzt einen US-Pass, überraschende 17 Prozent kommen aus Deutschland.

Weil ein Bett in der günstigsten Kabinenklasse mit fast 700 Dollar (ohne Steuern) zu Buche schlägt, die Drinks an Bord im Gegensatz zum Essen nicht gratis sind und der geneigte Headbanger vorher auch noch nach Miami fliegen musste, fällt die Reise für viele, insbesondere junge Interessenten zwar aus, aber an Bord finden sich keinesfalls nur besser betuchte ältere Semester, die ihre alte Musikleidenschaften ausleben wollen.

Die Kreuzfahrer sehen im Großen und Ganzen so aus, wie man sie von ähnlichen Veranstaltungen an Land vorstellt. Ihre Garderobe darf man – mindestens – leger nennen, Kleid und Anzug zum Dinner erwartet niemand. Deshalb kann auch die Crew offiziell auf den schicken Teil ihrer Garderobe verzichten und freut sich sehr darüber.

42BandsaufhoherSee

"Metal-Fans beschweren sich viel weniger"

Überhaupt zeigen sich die Schiffsmitarbeiter recht angetan von ihrer vermeintlich wilden Fracht, die eine willkommene Abwechslung bietet: Nicht selten sieht man einen Barmann mehr Kopfnicken als üblich oder ein Dutzend Ober mit gezückten Handykameras einen Auftritt auf dem Pooldeck verfolgen.

„Die Metal-Fans beschweren sich viel weniger“, erzählt die Dame am Guest Relations Desk, auch würden sich die Besucher immer freundlich bedanken. Das gleich am ersten Abend angebotene Seminar „Entgiftung und Gewichtsverlust“ bleibt trotzdem leer, ebenso wohl die Pilates-Klasse morgens um halb acht, aber eine Mitarbeiterin des Spa-Bereichs erzählt, dass die Nachfrage im Vergleich zu anderen Kreuzfahrten keinesfalls geringer ausfalle.

Grundsätzlich findet auf dem Schiff eine gewaltige Party statt, die vom aufmerksamen Service noch befeuert wird: Wer 30 Sekunden keinen Drink in der Hand hält, dem wird einer angeboten, an jeder Ecke gibt es Bierstände, unzählige Bars sowieso.

Sauerei ist einfach fehl am Platz

Bei allem Lob für die Headbanger darf man sich da schon Sorgen um die Inneneinrichtung machen. Nur: Nach drei Tagen gibt es zwar kein Budweiser mehr, aber der Teppichboden ist weder übersät mit Bierlachen noch mit Dreck, Erbrochenem oder gar lkoholleichen.

Die Erosion der zivilisatorischen Mindeststandars, die bei Open Airs auf der grünen Wiese durchaus Spaß machen kann, findet hier nicht statt. Auch den Metallern gefällt das stilvolle Ambiente, Sauerei ist einfach fehl am Platz.

„Die Besucher passen sich der Umgebung an“, meint Andy Piller, CEO von „Ultimate Cruises“ und der Kopf hinter „70.000 Tons of Metal“. Der 35-jährige Schweizer kennt die Metal-Kundschaft, über eine Dekade hat er als Tourleiter und Agent in der Welt der harten Musik gearbeitet.

An Bord fehlten nur Aschenbecher

Die Idee zu dieser Cruise kam Piller, als er von seinem Appartement in Vancouver aus Kreuzfahrtschiffe in den Hafen einlaufen sah. Vier Jahre steckte er fortan in die Planung und Konzeption, besuchte reguläre Kreuzfahrten, fand Investoren für eine siebenstellige Summe und verspricht, dass es weitere Unternehmungen dieser Art geben wird.

Kein Wunder, die Kabinen sind weitestgehend ausverkauft, der Umsatz üppig, denn in einem Bereich machen die Rocker ihrem Ruf alle Ehre: Der Bierkonsum übersteigt die übliche Nachfrage um etliche hundert Prozent. Allerdings rauchen die Mitfahrer dieser Tour dabei wesentlich mehr, so dass beim Zwischenstopp eilig Hunderte von fehlenden Aschenbechern an Bord geschafft werden müssen.

Auch das Medieninteresse ist groß, neben der Rock‘n‘Roll-Fachpresse sind mehrere Teams von großen Fernsehsendern an Bord. Bedenkt man, dass die Zielgruppe für harte Musik allmählich alt – und damit liquide – wird, allerdings nicht notwendiger kleiner, wie hohe Chartplatzierungen und ausverkaufte Festivals für diese Musik belegen, könnte die Kreuzfahrtbranche sich hier eine neue Kundschaft erschließen. Die demographische Pyramide gilt auch für Schwermetaller.

Headbangen auf schwankender Bühne

Den etablierten Open Airs werden solche Musikreisen alleine wegen des Preises kaum den Rang ablaufen. Doch die Vorteile von Luxusunterbringung und überschaubarer Zuschauerzahl sind nicht von der Hand zu weisen.

Zudem zeigen sich die Musiker begeistert: Wer würde nicht gerne dafür bezahlt werden, vier Tage auf einer Südseefahrt zu verbringen und unterwegs zwei Shows zu spielen? Dabei stört der Seegang nicht, er macht den Job zusätzlich interessant: „Headbangen auf einer Bühne, die schwankt, ist gar nicht so einfach“, konstatiert Biff Byford von Saxon, sein Kollege Hansi Kürsch von Blind Guardian witzelt auf der Bühne: „So fühlt sich das sonst nur an, wenn ich betrunken bin.“

Zwar waren keine Spitzenbands der Szene wie etwa Metallica dabei, aber das Bordmenu konnte sich sehen und hören lassen. Spitzer Hut, Rüschenhemd und ein Stoffpapagei auf der Schulter: Die amerikanische Thrash-Metal-Band Swashbuckle ist mit ihrem Piraten-Image wie geschaffen für Konzerte auf Booten. Auch skandinavische Death Metal-Veteranen wie Amon Amarth und Unleashed singen gerne mal von Langschiffen und Wikingern.

Moderne Metal-Spielarten kaum vertreten

Andere der Kapellen, die bei der „70.000 Tons of Metal“-Cruise aufspielten, befanden sich jedoch außerhalb ihrer Hoheitsgewässer. Beispielsweise die deutschen Blind Guardian, deren Musik eigentlich eher nach Mittelerde als auf das Pooldeck passt.

Es war jedoch genau dieser traditionelle Stoff auch von Iced Earth, Sonata Arctica und Rage, der auf dem Schiff geboten wurde, moderne Metal-Spielarten fanden sich kaum – angesichts des leicht höheren Alters der Kreuzfahrer keine Überraschung.

Ebenfalls in den Achtzigern beheimatet sind Thrasher wie Testament, die exklusiv ihre beiden ersten Alben in voller Länge spielten, oder Exodus und Death Angel, die mit ungebrochen rabiater Darbietung glänzten. Ähnliches gilt für ihre deutschen Pedants Destruction und Sodom, deren neuer Drummer Makka Freiwald hier seine Jungfernfahrt erlebte.

Musiker genießen die Nähe zu Kollegen und Fans

Dass sich Sonne und musikalische Düsternis nicht ausschließen, bewiesen Moonspell (atmosphärisch) und Marduk (böse). Zu den Höhepunkten zählten die Sets der Schweden Amon Amarth, die Death Metal und Eingängigkeit auch bei starkem Wellengang kombinieren, während Unleashed aus noch ungeklärten Gründen ohne ihren Sänger anreisten und ihn aus Bordmitteln kurzfristig ersetzen mussten.

Akteuren und Konsumenten gleichermaßen gefällt übrigens die auffällige Lockerheit an Bord. Es gibt keine logistische oder räumliche Trennung zwischen Fans und Künstlern, alle essen, trinken und feiern in den gleichen Bord-Bereichen, ohne dass es zu überfallartigen Belagerungen kommt.

Viele Musiker genießen diese Nähe regelrecht und können in Ruhe Konzerte der Kollegen verfolgen oder gar mitspielen, während die Fans ihren Helden ständig über den Weg laufen, an der Bar, am Pool, im Aufzug.

Spannendes auch in der Karaoke-Bar

Interessanterweise halten sich respektvoller Abstand und Neugier die Waage, selbst wenn viele Drinks ausgegeben werden und alle gemeinsam bis zum Morgengrauen die Karaoke-Bar bevölkern. Und nicht alle der Darbietungen dort, die wegen gewagter Tonführung sicher geltendem Seerecht widersprechen, stammen von Amateuren.

Genau in dieser Offenheit und Entspanntheit liegt die größte Besonderheit der „70.000 Tons of Metal“. Und der Teppichboden ist doch tatsächlich sauber geblieben.

Quelle: WeltOnline

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